Pizzineddu

Veronica Fanelli
Vorgeschlagen von:

Veronica Fanelli

Italienische Fahne
Lied eingewandert aus:

Italien (Sardinien)

Martin Folz dirigiert
Chorfassung von:

Martin Folz

„Das Lied darf nicht süß klingen, sondern es muss unverschnörkelt und unmittelbar sein, so wie die sardische Landschaft, die öd und kahl ist.“

Ein Lied wie eine romanische Kirche

In ihrer Kindheit auf Sardinien ist Veronica Fanelli dem Lied Pizzineddu nicht begegnet. Und doch schien es ihr sofort vertraut, als sie es vor einiger Zeit entdeckte. Jedes Mal, wenn sie es seitdem hört, überläuft sie eine Gänsehaut. Das Lied schlägt Saiten in ihr an, die nur darauf gewartet haben zu erklingen. „Ich bin dabei, mich zurückzusuchen, alles zu erforschen, was mich so gemacht hat, wie ich bin“, erzählt die Deutschlehrerin, die an einer saarländischen Schule unterrichtet.

Die Lieder spielen dabei eine wichtige Rolle. Auf ihren Reisen nach Sardinien hat sie viel Musik gekauft, darunter auch jene CD, die Pizzineddu enthält, gesungen von Maria Carta, der weiblichen Stimme Sardiniens. Eigentlich ist die sardische Chormusik männlich geprägt. Doch dieses Lied aus dem 18. Jahrhundert gehört der weiblichen Gesangskultur an, die Maria Carta wieder erschlossen hat. Pizzineddu steht in der Tradition des Duru duru, des einstimmigen Wiegenliedes, das doch keines ist: Es ist vielmehr die Einführung des kleinen Kindes in den ballo, den sardischen Tanz. Tatsächlich soll das Kind während des Gesangs, sitzend auf den Knien der Großmutter, nicht schlafen, sondern teilnehmen an diesem Tanzspiel. Den Liedtext gibt es in vielen Varianten. Veronica Fanelli hat den ursprünglichen Text in der sprachlichen Variante von Mittelsardinien gefunden. Die Noten dazu hat sie nicht entdecken können, obwohl sie in vielen Notenbüchern geblättert hat. Umso mehr freut sie sich, dass es nun aufgeschrieben und für den Chorgesang erschlossen wird.

In Pizzineddu wird ein kleines Kind besungen. Es trägt weder Umhang noch Weste – corittu, das Leibchen, das das Herz wärmen soll -, und doch friert es nicht. „Du bist das Herz meines Lebens, sollst ruhen auf seidenen Kissen, sollst schlafen in einer goldenen Wiege“, heißt es im Text. Das Kind in der Wiege – der Gedanke an das Christkind liegt nahe. Pizzineddu wird tatsächlich gerne an Weihnachten gesungen. Das Lied strahlt eine eigentümliche Art von Zärtlichkeit aus: Es ist liebevoll und innig, gewiss, aber dabei alles andere als zuckersüß, vielmehr kraftvoll und klar. In der Interpretation von Maria Carta endet es sogar mit einem spitzen Schrei.

Überhaupt sind es die herben Klänge, Rhythmen und Melodien, die die sardische Musik kennzeichnen. Sie spiegeln das unbequeme, karge Leben der Menschen in früheren Zeiten wider. „Zu der Zeit, als das Lied entstanden ist, waren die Menschen auf Sardinien ärmer, als man sich vorstellen kann. Und das hat noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts angedauert. Ich erinnere mich, wie wir Kinder mit unserer Oma im Haus um eine Feuerstelle gesessen und uns gewärmt haben. Und dabei gehörten wir zu den Wohlhabenden im Dorf!“, erzählt Veronica Fanelli. Zu dieser herben Musik passt die etwas dunkel eingefärbte und raue, konsonanten-reiche sardische Sprache. Sardisch ist eine romanische, dem Lateinischen noch sehr nahe Sprache, die von rund einer Million Menschen auf Sardinien gesprochen wird. Oft ist der Vokal „u“ zu hören. Manchmal meint man, ein aus dem Italienischen vertrautes Wort zu verstehen, dann wiederum klingt die Sprache sehr fremdartig.

Was sollten Chöre beachten, wenn sie Pizzineddu interpretieren? „Das Lied darf nicht süß klingen, sondern es muss unverschnörkelt und unmittelbar sein, so wie die sardische Landschaft, die öd und kahl ist“, erklärt Veronica Fanelli. „Es soll seiner Entstehungsgeschichte treu bleiben: konzentriert auf das Wesentliche, rein wie eine romanische Kirche.“

Noten für dreistimmigen Frauenchor

Aussprache