Romina Tobar
Venezuela
Celestino Carrasco
Daniel Osorio
„Die Schnulze aus ihrer Kindheit hat sich im Nachhinein als traditionelles Folklorelied aus Venezuela entpuppt. „
Wenn einer sagt, dass er Amalia Rosa nicht kennt, kann er kein Südamerikaner sein“, meint Romina Tobar und lacht. Von Kuba bis Feuerland werde das Lied gesungen.
Romina, die Chilenin, kennt es von ihrer frühesten Kindheit an. Populär wurde das Lied durch den smarten venezolanischen Sänger José Luis Rodrigues, genannt El Puma, der in den 1970er Jahren im Stil eines Jürgen Drews Karriere machte: schwarze Hose mit Schlag, weißes, offen stehendes Hemd, wallende Mähne. Inhaltlich ist Amalia Rosa eher trivial. Vier Frauen streiten sich um ein Stück Stoff. Wenn vier sich streiten, freut sich der Fünfte – jetzt hat der Mann leichtes Spiel und kann sich eine der Frauen aussuchen. Das Erfolgsgeheimnis dieses Liedes kann nicht in seinem Text liegen, da muss mehr dahinter stecken.
Für Romina Tobar klingt Amalia Rosa nach Mutter und Großmutter, und es duftet nach Hausputz und Waschtag. Es ruft heimatliche Gefühle hervor, weckt die Sehnsucht nach unbeschwerten Tagen in einem aufstrebenden Südamerika. Viel später erst hat Romina mitbekommen, dass auch eine exilchilenische Gruppe das Lied gesungen hat und dass es auf keinem Folklorefestival fehlte. Die Schnulze aus ihrer Kindheit hat sich im Nachhinein als traditionelles Folklorelied aus Venezuela entpuppt.
Folklore – das klingt in deutschen Ohren wiederum harmlos und unpolitisch. Im gebeutelten Lateinamerika ist das anders. Folklore hat gerade den armen Leuten immer viel bedeutet. Die politischen Bewegungen waren immer auch kulturelle Bewegungen, die ihre Botschaften über die Musik des Volkes transportiert haben. Berühmte Sängerinnen wie Violeta Parra oder Gruppen wie Inti Illimani haben auf den musikalischen Traditionen aufgebaut, neue Lieder geschrieben oder alte neu gemischt und in einen politischen Kontext gestellt. Die Folklore war subversiv, und das nicht nur im jeweils eigenen Land: Sie hat sich um die künstlich geschaffenen Grenzen innerhalb Lateinamerikas nicht geschert, hat Melodien, Rhythmen und Instrumente in regen Austausch gebracht – und damit auch die Menschen über Grenzen hinweg verbunden. So ist auch Amalia Rosa einzuordnen: Es ist kein politisches Lied, aber es wurde von politischen Gruppen gesungen und ist damit Ausdruck einer Sehnsucht nach Identität, Heimat und Freiheit geworden, ähnlich vielleicht wie Gracias a la vida.
Musikalisch ist Amalia Rosa ein „Golpe tocuyano“, also ein Tanzlied im 6/8-Takt aus der Region Tocuyo in Venezuela. Betont wird beim Golpe üblicherweise die dritte und sechste Note. Sehr authentisch klingt es, wenn der Golpe durch Traditionsinstrumente begleitet wird, insbesondere durch das Cuatro, die kleine, viersaitige Gitarre, die im Norden Südamerikas gespielt wird. Aber auch eine Klavierbegleitung ist möglich.
Für die Aussprache ist es wichtig, das /r/ nicht zu weit hinten im Hals zu bilden, sondern vorne zwischen Zunge und Gaumen, und es nicht zu stark zu rollen. Die Konsonanten t und p dürfen nicht zu hart gesprochen werden, das t in toma sollte fast klingen wie ein /d/, das p in pero wie ein /b/.
Romina Tobar, die 1998 mit 18 Jahren nach Deutschland gekommen ist und hier angefangen hat, musikalisch aktiv zu werden, schätzt Amalia Rosa als treuen Begleiter durch ihr bisheriges Leben. „Je mehr ich mich entwickelt habe, desto mehr habe ich das Lied durchdrungen“, sagt sie. Die erneute Begegnung mit dem Lied im Rahmen von SingBar habe sie angeregt, sich mit der Musikgeschichte Lateinamerikas wieder intensiver zu beschäftigen. Wer, wenn nicht sie? Die gelernte Klavierbauerin hat sich mittlerweile einen Namen gemacht als Künstlerin, die dem politischen Liedgut Südamerikas auch hierzulande eine Stimme und ein Gesicht gibt.
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