Ruth Boguslawski
Moldawien und wieder eingewoben in die jüdische Geschichte Deutschlands, gesungen in der jiddischen Sprache, die zu keiner Nation gehört und eine Weltsprache war...
Efim Chorny
Daniel Osorio
„Beim Singen ist es wichtig, sich auf die Off-Beat-Rhythmen der Klezmer-Musik einzulassen. „
Das bisschen Hering mit Brot, das bisschen Rettich mit Salz: Die Speisen sind typisch, und es gibt nichts Schöneres, als mit Familie und Freunden Dos bisele shpayz zu teilen. Es ist Feiertag, und am Tisch wird gegessen und gesungen und getrunken. Was für die Tischgesellschaft reicht, das macht auch noch einen Gast satt. Für ihn wird symbolisch ein Platz freigehalten – an einer jüdischen Seder-Tafel etwa für den Propheten Elias, mag er nun dieses Jahr kommen oder nicht. Früher war es in jüdischen Familien auch hierzulande Tradition, arme Studenten am Sabbat zum Essen einzuladen.
In der Diaspora von heute sind solche großen Runden seltener geworden. So ist es auch bei Ruth Boguslawski. Wenn dann jedoch viele zusammen kommen, dann sind die „Inseln von Jüdischkeit“ am Tisch die Augenblicke, in denen sie sich in besonderer Weise heymisch fühlt – so wie beim Lied Dos bisele shpayz selbst. Das Lied in Ruths jiddischer Muttersprache lässt Bilder aus der Kindheit aufsteigen, Erinnerungen daran, wie die ganze Familie beim Essen saß.
Ruth Boguslawski hat Dos bisele shpayz bei einem Festival für jiddische Musik – heute läuft es unter dem Namen Yiddish Summer – in Weimar 1999 kennengelernt. Der Komponist selbst, Efim Chorny, hat es den Teilnehmenden in einem Workshop beigebracht. Efim Chorny ist Moldawier. Er komponiert jiddische Lieder, die schnell ihren Weg in das neue jiddische Liedrepertoire finden und zum Revival jüdischer Kultur in Ost- und Westeuropa beigetragen haben.
In Saarbrücken haben Ruth Boguslawski und das Theater im Viertel der jüdischen Kultur und Sprache einen Ort gegeben. Viele Klezmer-Konzerte finden dort statt. Die Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft hat sie dafür mit der Schlomo-Rülf-Medaille ausgezeichnet. Für Ruth ist dieses Engagement Herzenssache. Singen, Tanzen und die jiddische Sprache machen ihre jüdische Identität aus. Sie will diese Sprache, die aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangen und mit hebräischen, aramäischen, romanischen, slawischen und weiteren Sprachelementen angereichert ist, als Ausdruck einer ganzen Welt lebendig halten. Das schuldet sie, wie sie sagt, auch ihren Eltern, die so gelitten haben. Seit deren Tod in den 1980er Jahren hatte Ruth immer weniger Gelegenheit, Jiddisch zu sprechen. Sie hat ihre Muttersprache so schmerzlich vermisst, dass sie bis nach Oxford gefahren ist, um Jiddisch weiter zu lernen und zu sprechen – gemeinsam mit anderen Jiddischisten, Liebhabern der jiddischen Sprache, die wie sie die jüdische Identität brauchen, aber nicht unbedingt religiös sind.
Die Tischgemeinschaft und das Singen gehören im Judentum eng zusammen. Im Singen wird Verbundenheit ausgedrückt. Es gibt viele Tischlieder, Ess- und Trinklieder, und natürlich die Klezmer-Musik, die jüdische Hochzeitsmusik, mit ihren fulminanten Tanzstückchen. Das Lied, das sie für das Projekt SingBar ausgesucht hat, zeichnet eine heile jüdische Welt, wie es sie heute kaum mehr gibt. Es ist ein kleines, leicht zu lernendes Lied, das Ruth immer wieder gerne anderen Leuten beigebracht hat. Über die Aufzählung der verschiedenen Speisen im Lied kommt sie ins Sinnieren: „Um eine gute jüdische Tochter zu sein, hätte ich wohl Hering mögen müssen. Ich mochte aber keinen Hering. Vielleicht war ich auch deshalb keine typisch jüdische Tochter.“
Beim Singen ist es wichtig, sich auf die Off-Beat-Rhythmen der Klezmer-Musik einzulassen. Ein wenig Fingerschnippen hilft. Bei der Aussprache sollte man besonders auf den Reibelaut kh achten – etwa in retekh (Rettich). Dieses kh wird sehr kehlig gesprochen, man muss es also weit hinten am Gaumen formen. Gerade weil das Jiddische mit dem Deutschen verwandt ist, liegt die Versuchung nahe, ein hochdeutsches ch daraus zu machen. „Ein richtig ausgesprochenes kh macht schon die Hälfte am richtigen Klang aus“, erklärt Ruth Boguslawski. Wer bereit ist, in den Klang der rund tausend Jahre alten jiddischen Sprache einzutauchen, kann immer mit Ruth rechnen: Mit schier unerschöpflicher Geduld spricht sie die Wörter vor oder notiert Aussprachehilfen. Eine Liebende, der nichts zu viel ist, wenn sie das Jiddische an Menschen weiterreichen kann, die bereit sind, ihr Herz daran zu hängen.
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